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Interview: Barfuß auf dem Weg zu Buddha

Er legt die Hände aneinander und verbeugt sich kurz. Kniet nieder, steht wieder auf, kniet nieder, steht auf; 108 Mal wiederholt er diese Bewegung, konzentriert und präzise. Dann nimmt Anton Scholz ein Räucherstäbchen, zündet es an, setzt sich im Lotus vor den Bronzebuddha und meditiert. Dieses Ritual hat der 26jährige Student aus dem fernen Osten mitgebracht. Dort lebte er in Klöstern, baute Reis an, und ging mit den Mönchen barfuß betteln. Wir besuchen ihn in seinem asiatisch eingerichteten Zimmer in Hamburg, in dem der pudrige Geruch von Weihrauch hängt.

Warum sind Sie Buddhist geworden?
Ich bin kein Buddhist. Muss man nicht, um Zen zu praktizieren. Ich bin Zen-Schüler. Zen ist Yoga für den Geist, das bedeutet Dinge gründlich zu tun. Mit Zen kann man ein besserer Bauer werden. Oder ein besserer Taekwondo-Kämpfer.

Hollywood ist fasziniert von Buddhismus und Zen. Und auch hier pilgern Tausende zum Dalai Lama, wenn er zu Besuch kommt. Sie haben vier Jahre in Südkorea und Japan in Zen-Schulen und Klöstern verbracht. Was halten Sie vom Buddha-Boom?
Wenn der Buddhismus populärer wird, ist das nur gut, denn er erzieht den Menschen zur Eigenverantwortung, und daran mangelt es in dieser Welt. Was immer ich tue, es wird zu mir zurückkommen. Das ist das buddhistische Gesetz des Karma von Ursache und Wirkung. Es gibt weder Schöpfungsmythos noch Gott. Man kann sich also nicht auf eine höhere Macht verlassen und auf Vergebung hoffen.

Wie sieht der Tagesablauf in einem Kloster aus?
3.20 Uhr: Aufstehen. 3.40 Uhr: 108 Verbeugungen. 4 bis 5 Uhr: Sutren-Singen. 5 bis 6 Uhr: Meditation. Dann: Frühstück, eine Dreiviertel Stunde Putzen, drei stunden Meditation mit kurzen Unterbrechungen. Lunch. Wieder drei stunden Meditation. Teabreak. 18 bis 19 Uhr: Abendsutren-Singen. 19 bis 21 Uhr: Meditation. 21 Uhr: Abschlussgesänge.

Und das monatelang. Jahrelang. Jeden Tag. Wird man da nicht irre?
Nein. Im Gegenteil: Der Irrsinn nimmt ein Ende. Man fängt an, sich auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren. Die Routine schafft Zeit und Ruhe. Irgendwann geht man auch zur selben Stunde aufs Klo und wacht beinahe ausgeschlafen morgens um drei auf.

Welchen Tagesabschnitt mochten Sie am liebsten?
Den Teabreak. Da gibt es Kekse und Tee. Das ist die einzige Mahlzeit, die nicht im Akkord eingenommen wird. Für den Lunch hatten wir gerade mal fünf Minuten Zeit. Schönes essen! Genießen – das war nicht. Schnell den Reis in die Suppe und runter damit. Alles musste bis zum allerletzten Rest aufgegessen werden. Auch Dinge, die einem nicht schmecken. Die musste man dann eben runterwürgen.

Wozu soll das gut sein?
Ich habe gelernt persönliche Abneigungen und Vorlieben zurückzustecken. Denn jede einzelne macht Dich unfrei und ist ein Backstein Deines Gefängnisses. Ein weiser Mann hat einmal gesagt: „Tue jedenTag etwas, das Dir nicht gefällt. Das hilft erwachsen zu werden – ansonsten wirst Du lediglich alt.“ Im Übrigen sind die Mahlzeiten im Kloster mehr ein Ritus. Alles ist festgelegt: wie und mit welcher Hand man die Stäbchen und Schälchen hält und wo man sie hinstellt…

Die Rituale haben einen Sinn, nehme ich an.
Das zeigt wie jeder Kleinigkeit Bedeutung beigemessen wird. Dass man sich bei einer Tätigkeit wie dem Essen wirklich auf das Essen konzentriert. Und nicht auf das, was gerade war oder später kommt. Wenn ich beim Essen wegträumte, dann habe ich garantiert einen Fehler gemacht. Das fällt sofort unangenehm auf. Das ist dann Achtlosigkeit.

Anton Scholz spricht schnell, aber nicht hastig und lässt seine Stimme in einer Art asiatischem Singsang schwingen. Das beige Wildseidenhemd hat er bis zum Stehkragen hoch geknöpft, und um die Knie faltet sich die schwarze Stoffmasse seiner japanischen Pumphose. Fast unbeweglich hockt er auf dem Sofa, seinen kurz geschorenen Kopf mit dem bleistiftdünnen Bart auf nur zwei Finger gestützt. An einem blitzt etwas Silbernes.

Was ist das für ein Ring?
Das ist ein asiatischer Glücksdrache. Den Ring trage ich immer. Im Kloster musste ich ihn allerdings ablegen. Wie allen anderen Schmuck. Ich durfte nichts Eigenes Tragen; nichts das mich von den anderen unterschieden hätte.

Draußen bimmelt eine Glocke, an deren Schlegel der Hamburger Wind zerrt. Anton Scholz steht auf und lauscht den Tönen.

Das ist eine koreanische Tempelglocke. Die vertreibt die bösen Geister. Dieser Klang gibt mir das Gefühl zu Hause zu sein. Südkorea ist nicht besonders schön, und doch habe ich mich unsterblich in dieses Land verliebt. Ich verdanke den Koreanern viel: Ich habe einen tiefen Einblick in die Seele des Landes und damit in die eigene Seele bekommen.

Im Kloster wird fast immer geschwiegen. Warum?
Mit dem Schweigen verstummen die Stimmen im Kopf. Es ist als würde sich ein Nebel verziehen. Durchs Reden verlieren wir so viel Energie. Im Schweigen liegt eine unglaubliche Macht.

Worüber haben Sie in diesen acht Stunden täglicher Meditation sinniert?
Von hochheiligen Gedanken bis zu wilden Hardcore-Pornostreifen war so ziemlich alles dabei. Aber das Ziel des Za-Zen, des Sitzens und Meditierens, ist, nicht nachzudenken.

Und? Haben Sie Fortschritte gemacht?
Ich hoffe. Aber es geht nicht darum, krampfhaft alle Gedanken zu verbannen. Sondern die Gedanken vorbeiziehen zu lassen. Diese erfolgsorientierte Denken habe ich schon ein wenig überwunden. Ich glaube nicht mehr, dass ich in der Meditation mindestens zehn Minuten pro Tag glasklar sein muss. Ich weiß nur, dass ich sitzen muss. Dass das der richtige Weg für mich ist. Die Resultate kündigen sich nicht mit einem Lichtblitz an und mit großen Visionen. Sie schleichen sich durch die Hintertür ein.

Gab es einen Augenblick, der Sie in diesen vier Jahren besonders berührt hat?
Einer der starken Momente war, als wir in Osaka für das Kloster gebettelt haben. Es war ein eisigkalter Winter. Als Mönche liefen wir barfuß in Strohsandalen. Eine Japanerin ging vor mir auf die Knie, berührte meine nackten Füße und bedankte sich. Ich war ein Bettler! Aber die Menschen haben sich bei mir bedankt. Dafür, dass sie mir Geld geben durften. Dafür, dass ich da war. In diesem Moment war ich ein Symbol der Hoffnung. Es ist eine große Verantwortung, diesem Vertrauen gerecht zu werden.

Hat sich ihr Leben durch Ihren Ostasien-Aufenthalt verändert?
Ach, das sind die kleinen Dinge. Mehr Rücksicht nehmen, sich nicht direkt vor die U-Bahn-Tür stellen, wenn andere noch aussteigen wollen, einen Platz anbieten, sich auch mit fremden Menschen unterhalten. Und bei jeder Handlung sorgsam zu sein. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Früher habe ich gegen die Welt gekämpft – heute kämpfe ich mit ihr.

Auch hier in Hamburg?
Ich merke, wie hier die Macht der Gewohnheit nach mir greift. Dass ich in meine alte Rolle zurückfalle. Dass die Selbstsucht wieder kommt. Das erste Ziel in unserer Gesellschaft ist der persönliche Erfolg und das persönliche Vorankommen – deshalb ist die Welt in einem so bedrohlichen Zustand. Aber solange der Weihrauch brennt, solange es Menschen gibt, die vor einem Buddha sitzen und versuchen zu verstehen, so lange gibt es Hoffnung.

Anton Scholz hielt es nur sechs Monate in Hamburg. Kurze Zeit nach dem Interview kehrte er wieder zurück nach Südkorea.

erschienen in der Maxi